Zur Causa Frau Dr. Grasser vs. Ursula Polesnig

Zitat aus “Kärnten Dokumentation” Band 31, Beitrag von Dr. Katja Gasser 

Meine Mutter wurde während der Nazi-Zeit gemeinsam mit ihrer Kärntner-slowenischen Familie nach Deutschland deportiert. Sie kam ins Lager Frauenaurach, wurde schließlich von ihrer Familie getrennt und als Hausmädchen zu einer wohlhabenden deutschen Familie ,in Dienst gegeben´. Und obwohl ich diese Menschen, die meine damals rund zehnjährige Mutter behandelt haben, als gehöre sie einer minderwertigen Spezies an, nie gesehen habe: Ich könnte Ihnen im Detail beschreiben, wie sie ausgesehen haben. Ich sehe das Badewasser vor mir, in dem sich meine Mutter, ein Kind, waschen musste, und zwar nachdem bereits die gesamte fremde Familie darin gebadet hatte. Und wie angewidert die Frau des Hauses den mit Sorgfalt gepackten Koffer meiner Mutter, der ihr von ihrer Mutter zurecht gemach worden war für die Reise der kleinen Tochter ins Unbekannte, aufmachte in der Erwartung, Wanzen, Läuse, Motten wären darin. (Zitat Seite 28, “Meine Mutter”)

 Vielmehr: Ich spreche mit meiner Tochter Slowenisch, weil es auch meine erste Sprache war, weil Slowenisch die Sprache war, die ich lernte ……..

(Zitat Seite 25,”Meine Tochter”)

Und ich habe unendliche Freude, wenn Mara einen ganzen slowenischen Satz sagt, im Dialekt meiner Herkunftslandschaft.

(Zitat Seite 32, “Ich”)

 

Ursula Polesnig
St. Peter – Zeckrestraße 33
9100 Völkermarkt
Tel Nr. 04232-4421
http://www.kaerntnerwindische.com/

 

Sehr geehrte Frau Dr. Grasser!

Ich habe Ihren Beitrag in „Kärnten Dokumentation Band 31“ gelesen. Dazu möchte ich Ihnen gerne meine Geschichte zum „Badewasser“ erzählen.

Bin 1956 geboren. Meine Eltern und Großeltern sprachen  Windisch. Ich bin zweisprachig aufgewachsen und stamme aus einer armen Bauernsfamilie, die 1942 auch auf der Liste der Auszusiedelnden gestanden hat (aus welchem Grund auch immer, kam es Gott sei Dank nicht dazu).

Einmal im Monat wurde bei uns der Saukessel eingeheizt, um Badewasser zu erwärmen. Wir freuten uns immer riesig darauf. Meistens war es dann, wenn das Brotbacken vorbei  und die schwarze Küche richtig warm war. Eine Blechwanne, in der im Jänner/Februar das geschlachtete Schwein für die Osterjause gehaart wurde, kam in die Küche und wurde mit Kernseife und heißem Wasser gefüllt. 8 Personen stiegen nach und nach da hinein. Ob einer der Letzte war oder nicht, es hat niemandem interessiert.  Nach dem ersten „Badegang“ schwamm schon ein weißer Belag von Schweiß und Hautresten darauf. Jeder Einzelne genoss es , sich einmal am ganzen Körper waschen zu können. Bis 1975 kannte ich kein Badezimmer, nur „Lavur – Waschschüssel“ und „Katzenwäsche“.  War trotzdem immer sauber und dachte mir nichts dabei, ich kannte ja nichts Anderes. Heute denke ich nicht mit Erniedrigung und Minderwertigkeit  daran. Es war eben so.

Somit meine ich, ohne in irgendwelcher Form das Schicksal und Trauma ihrer Mutter in Abrede zu stellen, musste ihre Mutter schon vor 1941 ein Bad mit fließendem Wasser gabt haben, wo nach jedem „Badegang“ neues Wasser zur Verfügung stand.  

Zum Durchsuchen des Koffers, auch eine wahre Erzählung meiner Mutter. Meine Mutter, geb. 1917, kam mit 7 Jahren als Vollwaise zu meinem Geburtshaus. Sie musste hier vom ersten Tag an arbeiten, hatte ihre wenigen Habseligkeiten offen zu legen, durfte keine Schrank oder Kiste mit einem Schlüssel besitzen. Ihre Sachen wurden immer kontrolliert. Das war damals so der Brauch. Es hat nur einen Hausherren oder Hausherrin gegeben. Flöhe, Wanzen etc. hat es überall gegeben. 1 Mal im Jahr wurde der Strohsack für die Betten neu aufgefüllt. Mit Petroleum das Haar gewaschen und danach „kehrte etwas Ruhe“ mit Wanzen und Flöhen ein.

Ich muss mich nicht von meinen Eltern und Großeltern „lösen“, um meine Identität zu bewahren, nämlich eine stolze Kärntner Windische zu sein. Auch nicht davon, dass meine Mutter von Kärntner Partisanen fast erschossen wurde, nur weil sie das einzige Fahrrad, welches beim Haus war, retten wollte. Auch nicht davon, dass unser spärlicher Vorratskeller von Partisanen mit vorgehaltenem Gewehr geplündert wurde.  Auch  nicht davon, dass mein Vater im Bacherngebirge nur knapp dem Tode entronnen ist (vor Partisanen). Darüber darf man nicht sprechen. Jedoch waren es auch dramatische Einschnitte im Leben meiner Vorfahren.

Damit möchte ich zum Ausdruck bringen, dass jeder in der damaligen Zeit sein Kreuz zu tragen hatte, nur es schreibt niemand darüber.

Ich hoffe, Ihnen damit ein wenig Einblick in das Leben einer einfachen, Windischen Bauernfamilie gegeben zu haben. Würde mich über eine Antwort von Ihnen sehr freuen.

Übrigens Gratulation, dass Sie ihrer Tochter den Slawischen Dialekt beibringen.

Das freie Bekenntnis zu einer Identität ist ein Menschenrecht, deshalb denke ich, dass auch Sie mich als Kärntner Windische respektieren.

Es ist dies nur ein kurzer Einblick von UNSEREM Leben. Frei von der „Leber“ geschrieben. Ohne Emotionen, Vorwürfen, Rücksicht auf Rechtschreibfehler u.dgl.

Lepo pozdrav

Ursula Polesnig

St. Peter – Zeckrestraße 33
9100 Völkermarkt
Tel Nr. 04232-4421

 

Sehr geehrte Frau Polesnig,

mit großem Interesse habe ich Ihre Zeilen gelesen und danke Ihnen sehr für diese. Sie schreiben: ‚Darüber darf man nicht sprechen.‘ – Sie dürfen, Frau Polesnig, Ihre Zeilen sind ein Beleg dafür. Wir leben in einem demokratischen Land, freie Meinungsäußerung ist ein nicht hoch genug einzuschätzender Wert. Außerdem: Alle ernst zu nehmende Geschichtsschreibung berücksichtigt, wovon Sie erzählen.       

Mit meinem Beitrag zum Band 31 wollte ich nur meine Geschichte erzählen, zum Ausdruck bringen, wie ich die Welt sehe. Ich wollte nicht sagen: so ist es, ich wollte nur sagen: so ist es für mich.

Bleiben Sie dem Windischen, das ich das Slowenische nenne, trotz allem gewogen, liebe frau Polesnig und lassen Sie uns an einem Strang ziehen für Menschlichkeit und gegenseitigen Respekt nicht nur in Kärnten.   

Herzlichen Gruß aus Wien, lep pozdrav iz Dunaja

Katja Gasser

 

KATJA GASSER

ORF I KULTURREDAKTION

 

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